Für die Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus Baden-Württemberg

In Grafeneck begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion "T4". In einem Jahr wurden hier unter nationalsozialistischer Herrschaft 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Heute existiert in Grafeneck eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die Opfer und gegen das Vergessen in den Diskussionen der Gegenwart.

Panoramabild des Schlosses Grafeneck im Jahr 1930. Zu sehen ist das drei-flügelige Schloss auf einer Anhöhe, umgeben von Wald.
Das Foto zeigt einen von der Reichspost der T4-Organisation überlassenen roten Bus. Die Aufnahme entstand bei einer der Deportationen von Heimbewohnern aus der Stiftung Liebenau nach Grafeneck im Herbst 1940. Im Vordergrund zu sehen sind mehrere Personen, darunter zwei Männer in weißen Mänteln, die Formulare auszufüllen scheinen. Am rechten Bildrand steht ein Mann mit einer weißen Schürze. Im Hintergrund steht ein roter Bus.
Zur Landwirtschaft gehörendes Gebäude ("Remise"), in das zur Jahreswende 1939/40 eine Gaskammer eingebaut wurde. Das Bild zeigt ein längliches, weißes Gebäude. Links am Gebäude befindet sich eine Tür, rechts daneben drei Tore aus Holz. Die beiden mittleren Tore sind geöffnet.

Dr. Horst Schumann

Porträt von Dr. Horst Schumann (1906-1983), ärztlicher Direktor und Tötungsarzt in den T4-Vernichtungsstätten Grafeneck 1939/40 und Sonnenstein in Pirna 1940/41; Lagerarzt in Auschwitz-Birkenau. Das Bild zeigt einen Mann mit dunklen Augen und dunklen Haaren, die er als Seitenscheitel trägt. Er lächelt leicht.

Dr. Horst Schumann war der erste ärztliche Direktor der „Landespflegeanstalt Grafeneck“.
In dieser Funktion leitete er seit Oktober 1939 die Umwandlung Grafenecks von einer Einrichtung für behinderte Menschen in eine Vernichtungs- und Tötungsanstalt.

Ab Januar 1940 lag bei Dr. Schumann die Gesamtverantwortung für die Durchführung der Morde in Grafeneck. Persönlich leitete er die erste „Verlegung“ von Opfern nach Grafeneck. Mit einem der grauen Busse wurden 25 männliche Patienten nach Grafeneck deportiert. Der Transport verließ die Anstalt Eglfing-Haar bei München am 18. Januar 1940. Im April verließ Schumann Grafeneck und wechselte als Direktor in die „Euthanasie“-Anstalt Sonnenstein/Pirna.
Horst Schumann war 1906 als Sohn eines praktischen Arztes in Halle an der Saale geboren.

Das Elternhaus vor allem der deutschnationale und konservative Vater beeinflussten den Sohn sehr stark. Er trat während seines Studiums der Medizin einer Studentenverbindung bei. Seine Approbation erhielt Schumann 1931. Von 1931 bis 1934 war er dann Assistenzarzt für Innere Medizin und trat anschließend in den öffentlichen Gesundheitsdienst ein - als Amtsarzt beim Gesundheitsamt in Halle. Anfang 1930 war Schumann der NSDAP und 1932 der SA beigetreten. Kurz vor dem Krieg erfolgte seine Einberufung zur Wehrmacht als Unterarzt bei der Luftwaffe. Anfang Oktober 1939, wurde Schumann in die Kanzlei des Führers bestellt, wo Viktor Brack, einer der Hauptorganisatoren, der „Euthanasie“-Morde, ihn in den Stand der Euthanasie“-Planungen einweihte und zur Mitarbeit aufforderte. Schumann willigte nach einer Bedenkzeit ein und wurde zum Leitenden Arzt und Direktor der neu einzurichtenden Landespflegeanstalt Grafeneck ernannt.

Im April 1940 unterbrach er seinen „Dienst“ in Grafeneck um an einem „psychiatrischen Fortbildungslehrgang” bei Professor Werner Heyde in Würzburg teilzunehmen. Von Grafeneck wechselte Schumann nach Sonnenstein/Pirna, ebenfalls eine Vernichtungsanstalt der NS-„Euthanasie“. Ab Herbst 1942 war Dr. Schuman einer der berüchtigten Lagerärzte von Auschwitz. Er nahm Teil an Selektionen an der berüchtigten Rampe von Auschwitz-Birkenau und führte Röntgensterilisationsversuche an männlichen und weiblichen Häftlingen durch.

Schumann kam 1945 in amerikanische Gefangenschaft, wurde aber nach wenigen Wochen entlassen. Danach arbeitete er als städtischer Arzt in Gladbeck, wo er 1949 eine eigene Praxis eröffnete.1951 floh er, um seiner Verhaftung zu entgehen, aus Deutschland. Es folgte ein Aufenthalt in verschiedenen afrikanischen Staaten, zuletzt in Ghana, was ihn im Jahr 1966 an die Bundesrepublik auslieferte. Ein 1970 gegen ihn eröffnetes Verfahren wurde ein Jahr später wegen "Verhandlungsunfähigkeit“ eingestellt. Schumann lebte noch bis 1983 in Frankfurt am Main.