Gedenkstätte Grafeneck e.V.

Entstehung - Gründung - Entwicklung

Ein schwarz weiß Foto. Eine Menschengruppe steht auf dem Friedhof in Grafeneck.  Im Hintergrund ein großes Steinkreuz


Entstehung
Viel Zeit verging bevor die Geschichte des Jahres 1940 in Grafeneck wieder zur Sprache gebracht, bevor das Schweigen gebrochen wurde. Fast 40 Jahre wurden die Morde der Nationalsozialisten an behinderten Menschen in Grafeneck nicht thematisiert, herrschte Sprachlosigkeit in der Region und weit darüber hinaus, fehlten die Worte für das Grauen. Jedoch gab es schon in dieser ‚langen Phase’ der Erinnerungsverweigerung und des Schweigens gegenläufige Tendenzen. Anfang der 1960er Jahre wurde von der Samariterstiftung mit der Unterstützung des Landes Baden-Württemberg ein erster Gedenkort auf dem Friedhof der Einrichtung geschaffen. Diese Gedenkanlage des Jahres 1962, die heute noch existiert, besteht aus einer halbrunden Umfassungsmauer, einem über zwei Meter hohen, grob behauenen Steinkreuz und zwei Urnengräbern. Eine erläuternde Gedenk- oder Informationstafel, das Verbrechen zu benennen, existierte in diesen Jahren noch nicht.
Der Sprachlosigkeit in der Region und in Grafeneck selbst wurde in den 1970er Jahren ein Ende gesetzt. Der Bund der Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten sowie antifaschistische Gruppen wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)/Bund der Antifaschisten, waren es, die erste Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen – an denen sich nunmehr auch die Samariterstiftung beteiligte - vornahmen. Eine nennenswerte Resonanz in der Bevölkerung fanden diese Veranstaltungen nicht. Dies änderte sich erst am vierzigsten Jahrestag der Beschlagnahmung des Grafenecks für „Zwecke des Reichs“ (14.10.1939). Über 1.000 Menschen strebten am Buß- und Bettag 1979 in einem Sternmarsch dem ehemaligen Ort der Vernichtung zu.
 
 
Gründung
Der Gedenkgottesdienst im Jahr 1979 war die Initialzündung für die Gründung des Arbeitskreises Gedenkstätte Grafeneck: Innerhalb des Evangelischen Jugendwerks Münsingen fanden sich junge Menschen und Pfarrer des Kirchenbezirks Münsingen sowie Mitarbeiter des Samariterstifts Grafeneck zusammen, um dieses dunkle Kapitel der Geschichte Grafenecks dem Vergessen zu entreißen. Die folgenden Jahre widmete sich der Arbeitskreis vor allem der Gestaltung des jährlichen Gedenkgottesdienstes. Doch wurden auch bereits erste Versuche unternommen, die Geschichte des Jahres 1940 zu rekonstruieren und wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Mit dem Bau der Gedenkstätte stellten sich die Mitglieder des Arbeitskreises neuen Aufgabenfeldern. Der entstehende Ort des Gedenkens sollte mit Leben und mit aktiver Gedenkarbeit erfüllt werden. Dabei stützte sich die konzeptionelle Arbeit auf drei Säulen: Das Gedenken an die Opfer, das Mahnen und schließlich das Bewahren der Erinnerung.
Als 1990 die Gedenkstätte neben dem Grafenecker Friedhof fertig gestellt wurde, rückte die Geschichte dieses Ortes in das Bewusstsein einer immer breiteren Öffentlichkeit. Vier Jahre danach ließ sich der Arbeitskreis in das Vereinsregister eintragen. Es entstand der Verein Gedenkstätte Grafeneck. Mitglieder des Vereins sind heute Privatpersonen, Kirchengemeinden und Kommunen sowie Einrichtungen der Diakonie, Caritas, der staatlichen und privaten Behindertenhilfe, Zentren für Psychiatrie, vor allem aus Baden-Württemberg und Bayern. Die nachhaltige Unterstützung der Samariterstiftung als Trägerin der Behinderteneinrichtung in Grafeneck sowie als Eigentümerin der Gedenkstätte ermöglichte 1996 die Anstellung eines Historikers. Finanziert wird die Gedenkarbeit in Grafeneck über Mitgliedsbeiträge, freiwillige Zuschüsse vieler Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie, und nicht zuletzt über die Gedenkstättenförderung des Landes Baden-Württemberg sowie des Bundes (Projektförderung).
Besonders die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommene Arbeit mit behinderten Menschen im Samariterstift Grafeneck stellt eine Besonderheit dar, die von vielen in Frage gestellt, von anderen aber als einzigartige Möglichkeit betrachtet wird, die Geschichte des Ortes mit den heute dort lebenden Menschen in eine Verbindung zu bringen, die eindeutiger und beeindruckender kaum sein könnte.
 
Entwicklung
Das vom Verein Gedenkstätte Grafeneck e.V. der Öffentlichkeit übergebene Gedenkbuch bewahrt, bis heute fortgeschrieben, die Namen von über 9.000 Opfern des Massenmordes. Ein Teil der bis dahin namenlosen und vergessenen Opfer ist damit der Anonymität entrissen.
Seit 1998 erinnert auch der Alphabet-Garten, geschaffen durch die amerikanische Künstlerin Diane Samuels, an die bekannten und die unbekannten Opfer von Grafeneck. Die als Granitquader in die Erde eingelassen 26 Buchstaben des Alphabets, sind inzwischen ein fester Bestandteil der Gedenkstätte.
Zu den ursprünglichen Kernaufgaben des Gedenkens und Mahnens traten in den letzten Jahren verstärkt solche der historischen Forschung sowie der politischen Bildungsarbeit im Bereich der Jugend-, aber auch der Erwachsenenbildung hinzu. Heute besuchen in ungefähr 100 Besuchergruppen und 10.000 Besucher Einrichtung und Gedenkstätte Grafeneck. In den Jahren 2004 bis 2006 verfolgte der Verein Gedenkstätte Grafeneck den Aufbau einer Dokumentationsstätte am historischen Ort. Das 2005 eröffnete Dokumentationszentrum beinhaltet heute eine ausführliche Dauerausstellung, sowie Bibliothek und Archiv.