Für die Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus Baden-Württemberg

In Grafeneck begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion "T4". In einem Jahr wurden hier unter nationalsozialistischer Herrschaft 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Heute existiert in Grafeneck eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die Opfer und gegen das Vergessen in den Diskussionen der Gegenwart.

Panoramabild des Schlosses Grafeneck im Jahr 1930. Zu sehen ist das drei-flügelige Schloss auf einer Anhöhe, umgeben von Wald.
Das Foto zeigt einen von der Reichspost der T4-Organisation überlassenen roten Bus. Die Aufnahme entstand bei einer der Deportationen von Heimbewohnern aus der Stiftung Liebenau nach Grafeneck im Herbst 1940. Im Vordergrund zu sehen sind mehrere Personen, darunter zwei Männer in weißen Mänteln, die Formulare auszufüllen scheinen. Am rechten Bildrand steht ein Mann mit einer weißen Schürze. Im Hintergrund steht ein roter Bus.
Zur Landwirtschaft gehörendes Gebäude ("Remise"), in das zur Jahreswende 1939/40 eine Gaskammer eingebaut wurde. Das Bild zeigt ein längliches, weißes Gebäude. Links am Gebäude befindet sich eine Tür, rechts daneben drei Tore aus Holz. Die beiden mittleren Tore sind geöffnet.

Christian Wirth

Porträt von Christian Wirth (1885-1944), Kriminalkommissar Polizeipräsidium Stuttgart, Aufbau der Büroabteilung in Grafeneck, Leiter der Büroabteilung in Hartheim bei Linz, Kommandant des Vernichtungslagers Belzec und Generalinspekteur der "Aktion Reinhard". Das Bild zeigt einen Mann mit ernstem Blick, dunklem Schnauzbart, dunklen Augen und mit Glatze.

Christian Wirth war in seiner Funktion als erster Büroleiter und Leiter des Sonderstandesamtes Grafeneck zuständig für den Aufbau eines umfangreichen bürokratischen Verwaltungsapparates, welcher die bürokratische Abwicklung der „Euthanasie“-Morde gegenüber Angehörigen, Anstalten und Kostenträgen vornahm. Im Januar 1940 war er, nachdem er zuvor an einer so genannten ‚Probevergasung‘ in Brandenburg teilgenommen hatte, zusammen mit Dr. Horst Schumann für die ersten Vergasungen in Grafeneck zuständig.

Noch im Januar/Februar 1940 wechselte Wirth von Grafeneck in andere Vernichtungsanstalten der „Aktion T4“. Auch dort leitete er den Aufbau der Büroabteilungen. Christian Wirth stieg später in die Führungsspitze der „T4“-Organisation auf und wurde zum Inspekteur aller sechs „Euthanasie“ Vernichtungsanstalten ernannt. Christian Wirth war 1885 im schwäbischen Balzheim, Kr. Laupheim geboren. Vor dem Ersten Weltkrieg war er in die uniformierte Polizei eingetreten – zuerst Stadtpolizeiamt Heilbronn, später städtisches Polizeiamt Stuttgart. Im Ersten Weltkrieg erreicht Wirth den Rang eines Unteroffiziers. Während der Weimarer Republik war er beim württembergischen Landespolizeipräsidium beschäftigt und dort 1932 zum Kriminalinspektor und 1938 zum Kommissariatsleiter/Abteilungsleiter befördert. Er schloss sich bereits vor 1923 der NSDAP an, schied dann nach dem „Hitlerputsch” aus und wurde 1931 als „alter Kämpfer” erneut aufgenommen. 1933 trat Christian Wirth der SA bei, wechselt 1939 zur SS über, wo er den Rang eines Obersturmführers einnahm. Gleichzeitig war er auch Mitglied des Sicherheitsdienstes (SD) der SS.

Ende 1939 wurde Wirth für nur kurze Zeit nach Grafeneck abkommandiert. Von dort wechselte Wirth in die Vernichtungsanstalt Brandenburg/Havel, der nach Grafeneck zweiten Vernichtungsanstalt der „Aktion T4“. Dort hatte er, wie später in Hartheim/Linz und Hadamar, die Leitung der Büroabteilung inne. Er stieg auf zum Inspekteur der sechs T4-Vernichtungsstätten.

Ab Ende 1941 übernahm Christian Wirth den Aufbau des Vernichtungslagers Belzec und wurde dessen erster Kommandant. Durch seinen Aufstieg zum Generalinspekteur der „Aktion Reinhard“ gelangte Wirth in eine Schlüsselstellung bei der Ermordung der europäischen Juden. Ihm unterstellt waren die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka in denen über 1,5 Millionen Menschen ermordet wurden. 1942 wurde Christian Wirth zum Polizeimajor und Sturmbannführer der SS ernannt und im September 1943 nach Triest versetzt. Von dort werden italienische Juden in die Vernichtungslager des Ostens deportiert. 1944 kam Wirth auf ungeklärte Weise ums Leben, erschossen von italienischen Partisanen oder eigenen Leuten. Nach dem Krieg ordnete die Spruchkammer Stuttgart-15 die Einziehung seines Nachlasses an. Ein Jahr später wurde dieses Urteil aufgehoben, mit der Begründung, dass, wenn Christian Wirth noch leben würde, er in die Gruppe der Minderbelasteten einzureihen wäre.